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Sind die „neuen“ Prüfzeiten auf „alte“ Plausibilitätsverfahren anwendbar? | 12.01.2021

Plausibilitätsverfahren mit Überprüfung der Mindestzeitvorgaben sind schon längere Zeit in der Diskussion. Immer wieder argumentierten Ärzte, dass sie tatsächlich geringere Zeiten für die einzelnen Leistungserbringungen benötigen als die Zeiten voraussetzen. Nun ist endlich Bewegung in die festgesetzten Zeiten gekommen. Streitig ist dabei aktuell, ab wann diese Zeiten gelten sollen:

Die Kassenärztlichen Vereinigungen prüfen bei der Plausibilitätsprüfung gemäß § 106 d Abs. 2 SGB V den Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Arztes. Für die einzelnen Leistungen ist seit dem am 1.4.2003 in Kraft getretenen EBM 2000plus die jeweilige Mindestzeitvorgabe im EBM im Anhang 3 angegeben. Dabei wird differenziert zwischen der sogenannten Kalkulationszeit und der sogenannten Prüfungszeit.

Die Kalkulationszeiten beziffern eine festgesetzte Durchschnittszeit für die jeweilige Leistung. Auf der Basis dieser Zeit wurde die Vergütungshöhe bestimmt.

Die Prüfzeit dagegen entspricht der Mindestzeit, die ein geübter und erfahrener Arzt zur Erbringung der betreffenden Leistung benötigt.

Die im EBM angegebenen Prüfzeiten wurden in der Praxis häufig kritisiert, da diese teilweise sehr hoch angesetzt waren und es auch an einer empirischen Grundlage für diese mangelte.

Der Bewertungsausschuss hat daraufhin die Zeitansätze aller EBM-Leistungen überprüft.

Dabei wurde die tatsächliche (empirische) Arbeitszeit der Ärzte den kalkulierten Zeiten gegenübergestellt. Ausgehend von diesem Ergebnis ist eine umfassende Überprüfung der medizinischen Plausibilität der Zeitansätze unter Berücksichtigung des medizinisch-technischen Fortschritts sowie der Delegationsfähigkeit von Leistungen erfolgt. Als Folge der Änderung der aktualisierten Kalkulationszeiten wurden auch die Prüfzeiten im Anhang 3 des EBM entsprechend angepasst. Die neuen Kalkulations- und Prüfzeiten sind zum 1.4.2020 in Kraft getreten. Die Anpassung hat zu einer erheblichen Reduzierung sowohl der Kalkulationszeiten als auch der Prüfzeiten für die meisten Leistungen geführt, wobei der Umfang der zeitlichen Reduzierung zwischen den einzelnen Leistungen teilweise stark schwankt.

Fraglich ist, ob die neuen Prüfzeiten auch auf alte Plausibilitätsverfahren anzuwenden sind.

Das Sozialgericht Marburg hat in einem Gerichtsbescheid vom 21.08.2020 Az.: S 12 KA 1/18, in dem es um eine Plausibilitätsprüfung zu den Quartalen 1/12-3/13 ging, ausgeführt, dass bei der zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung die Neufassung der Prüfzeiten durch den einheitlichen Bewertungsausschuss mit Wirkung zum 01.04.2020 nicht zu einer Fehlerhaftigkeit der zuvor geltenden Prüfzeiten führt, obwohl die Prüfzeiten deutlich, im Durchschnitt um 30 %, reduziert wurden.

Wörtlich führt das SG Marburg auf Seite 14 im zweiten Absatz des zitierten Gerichtsbescheides aus, dass keine Umstände ersichtlich seien, „dass die hier maßgeblichen Prüfzeiten im streitgegenständlichen Zeitraum bereits unvertretbar oder willkürlich festgesetzt worden wären. Allein aus einer anderen Einschätzung oder Festlegung der Prüfzeiten zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt kann auf eine Fehlerhaftigkeit in der Vergangenheit kein Rückschluss gezogen werden.“

Das SG Marburg geht somit im Ergebnis davon aus, dass die neuen Prüfzeiten auf „alte“ Plausibilitätsverfahren (also vor dem Quartal 2/20) nicht angewendet werden können.

Dieser Auffassung wird aktuell nicht von allen Sozialgerichten geteilt.

So führt das Sozialgericht Dresden in einem richterlichen Hinweis aus, dass es fraglich sei, ob für Plausibilitätsverfahren für Altverfahren (dort die Quartale 2/16, 4/16 und 3/18) die Prüffeststellungen auf Basis der alten Prüfzeiten überhaupt noch Bestand haben können. Der Grund liegt für das SG Dresden in der empirischen Basis für die Neukalkulation der EBM-Zeiten in den Beschlüssen des Bewertungsausschusses vom 11.12.2019. Deshalb regte das SG Dresden die Neuberechnung der geprüften Quartale auf Basis der neuen Prüfzeiten an.

Der Ansicht des SG Dresden ist zu folgen, da sich die „neuen“ Prüfzeiten zum Teil doch erheblich von den „alten“ bis zum 3103.2020 geltenden Prüfzeiten unterscheiden.

So wurde z.B. für die Durchführung einer Körperakupunktur nach der Ziffer 30791 die Prüfzeit bei gleichbleibender Leistungslegende von 10 Minuten auf 4 Minuten (also um 60% !!) reduziert. Insoweit lässt sich nicht darstellen, dass ein technischer Fortschritt in den letzten Jahren so wesentliche Veränderungen mit sich gebracht hätte, dass der kürzere Zeitbedarf erst jetzt zu rechtfertigen wäre.

Bei der Gabe von Infusionen nach den EBM-Ziffern 02100 und 02101 wurde die Prüfzeit um 50% bzw. 62,5% reduziert. Auch hier wird man keine so wesentlichen Änderungen der Leistungserbringung darstellen können, dass eine Reduzierung der Zeit erst für die Zeit ab der Änderung zu rechtfertigen wäre.

Nach neuerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (siehe unter anderem BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az.: B 6 KA 42/17 R Rdnr. 13) beschränkt sich bei den Plausibilitätsprüfungen nach Zeitprofilen die richterliche Kontrolle darauf, „ob die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis durch den Normgeber überschritten wurden. Dies ist erst dann der Fall, wenn die getroffene Regelung in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist.“

Unter anderem bei der Durchführung einer Körperakkupunktur spricht vieles dafür, dass - wie bereits ausgeführt bei gleichbleibender Leistungslegende - die frühere Prüfzeit von 10 Minuten als unverhältnismäßig angesehen werden muss.

Folge wäre, dass auch bei „alten“ Plausibilitätsverfahren die neue Prüfzeit/neuen Prüfzeiten anzuwenden sind.

Es ist davon auszugehen, dass dieses Thema die Gerichte noch länger beschäftigen wird, da die Kassenärztlichen Vereinigungen aller Voraussicht nach für alle Quartale bis einschließlich des Quartals 1/20 die alten Prüfzeiten anwenden werden.

Die betroffenen Ärzte sollten sich gegen solche Prüfungen vor allem mit dem Argument zur Wehr setzen, dass die alten Prüfzeiten wegen der fehlenden empirischen Basis nicht anwendbar, weil unverhältnismäßig, sind. Denn entscheidend kann nur sein, dass man bei einer Leistungserbringung auf die tatsächliche (empirische) Arbeitszeit abstellt und nicht auf eine kalkulierte Zeit, bei der es vorrangig um die Frage der Vergütungshöhe geht.

Weiterhin sollte – soweit möglich - in Anlehnung an die BSG Rechtsprechung - vorgetragen werden, dass die Differenz zwischen den „neuen“ und den „alten“ Prüfzeiten unverhältnismäßig ist.

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RK