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„Juristische Aspekte der Verordnung von Cannabinoiden“ | 27.05.2021

Mit Inkrafttreten des sog. „Cannabis-Gesetzes“ im März 2017 wurde die Grundlage geschaffen, dass Cannabis als Wirkstoff nicht nur betäubungsmittelrechtlich verkehrs- und verordnungsfähig ist. Gleichzeitig wurde auch die Verordnungsfähigkeit mehrerer Cannabinoide zu Lasten der GKV erstmals im SGB V festgelegt. Bei einer Therapie mit diesen Wirkstoffen sind jedoch Besonderheiten zu beachten, die an dieser Stelle kurz vorgestellt werden sollen.

1. Reisen:

Der deutsche Gesetzgeber hat grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt, dass Patienten, die Betäubungsmittel als Arzneimittel einnehmen müssen, Reisen können. So ist es nach dem BtMG zulässig, die aufgrund ärztlicher Verschreibung erworbenen Betäubungsmittel in einer für die Dauer der Reise angemessenen Menge als Reisebedarf für den eigenen Bedarf aus- oder einzuführen. Ein- und ausgeführt werden dürfen aber nur Betäubungsmittel für den eigenen Bedarf. Die Regelung erlaubt nicht die Mitnahme von Betäubungsmitteln durch beauftragte Personen.

Welche rechtlichen Vorgaben darüber hinaus zu beachten sind, hängt vom Reiseziel ab.

Bei Reisen für bis zu 30 Tage in Staaten des Schengener Abkommens (hierunter fallen Deutschland, Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn), darf der Patient ärztlich verschriebene Betäubungsmittel mitnehmen. Es bedarf insoweit aber einer ärztlichen Bescheinigung, die durch die oberste Landesgesundheitsbehörde beglaubigt werden muss. Werden mehrere Arzneimittel mit Betäubungsmittel-Wirkstoffen verordnet, ist jeweils eine gesonderte Bescheinigung erforderlich, die eine Gültigkeitsdauer von maximal 30 Tagen hat.

Für Reisen in andere Länder (außerhalb des Schengener Abkommens) gibt es keine allgemeingültige Regelung. Hier muss die Rechtslage vor Reiseantritt individuell geklärt werden. Die jeweiligen diplomatischen Vertretungen des Ziellandes in Deutschland können hier nähere Informationen geben. Da ggf. Bescheinigungen beschafft und beglaubigt werden müssen, empfiehlt es sich, hier ein ausreichendes Zeitpolster einzuplanen. Zusätzlich sollte in jedem Fall eine ärztliche Bescheinigung (auch in englischer Sprache übersetzt und von der zuständigen Landesgesundheitsbehörde beglaubigt) mit Dosierungsangaben (Einzel-/Tagesdosis), Wirkstoffbezeichnung und Dauer der Reise mitgeführt werden, um den Behörden vor Ort eine Beurteilung zu ermöglichen, ob die mitgeführte Menge des Arzneimittels auf die Dauer der Reise abgestimmt ist.

2. Führen von Fahrzeugen:

Auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch können Cannabinoide das Reaktionsvermögen soweit verändern, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr beeinträchtigt wird. Ein solcher Effekt kann im Laufe einer Therapie durch Toleranzentwicklung wieder aufgehoben werden, so dass ein Führen von Kraftfahrzeugen im Einzelfall wieder möglich sein kann. Ob dies der Fall ist, muss stets im Einzelfall geprüft werden.

Da die Fähigkeit zum Führen von Fahrzeugen auch durch andere Faktoren (Krankheitszustand, individuelle Belastung, sonstige Erkrankungen etc.) beeinflusst wird, kann der behandelnde Arzt niemals pauschal eine Fahrtauglichkeit bestätigen.

Ein Patient darf zwar auch bei vorschriftsmäßiger Einnahme eines Medikamentes nur am Straßenverkehr teilnehmen, wenn seine Fahrtauglichkeit durch die Einnahme von Arzneimitteln nicht beeinträchtigt wird. Daher muss der Patient aber vor Fahrtantritt stets individuell beurteilen, ob er sich in der Lage fühlt, sicher und unbeeinträchtigt am Straßenverkehr teilzunehmen. Nur dann, wenn keinerlei Einschränkungen der Reaktionsfähigkeit festgestellt werden kann, ist die Teilnahme am Straßenverkehr zulässig.

In Fällen, in denen ein Patient Cannabis aufgrund der ärztlichen Verschreibung eingenommen hat und nicht in der Fahrtauglichkeit eingeschränkt ist, spielt auch das grundsätzliche Verbot des § 24a StVG keine Rolle:

Nach dieser Regelung handelt grundsätzlich ordnungswidrig, wer unter Drogeneinfluss im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt. Bei der Einnahme von Arzneimitteln greift hier aber die Ausnahmeregelung zu Gunsten der Patienten. Es liegt nach § 24 Absatz 2 Satz 2 StVG gerade keine Ordnungswidrigkeit vor, wenn eine im Blut nachgewiesene Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

Gegen einen Patienten, der Betäubungsmittel als Arzneimittel einnimmt und ohne Verhaltensauffälligkeiten oder Ausfallerscheinungen am Straßenverkehr teilnimmt, können keine Sanktionen verhängt werden, wenn er die legale Einnahme des Arzneimittels nachweisen kann. Wichtig ist es daher, dass der Patient im Einzelfall (z.B. durch Vorlage einer Rezeptkopie oder ein ärztliches Attest) belegen kann, dass er das Cannabinoid nicht konsumiert, sondern als Arzneimittel – entsprechend den Vorgaben seines behandelnden Arztes – eingenommen hat.

Die Teilnahme am Straßenverkehr ist jedoch nur zulässig, wenn tatsächlich keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit besteht. Treten Ausfallerscheinungen (z. B. Fahren von Schlangenlinien) auf, drohen strafrechtliche Konsequenzen (z. B. Geldstrafe und Führerscheinentzug für ca. 12 Monate) und führerscheinrechtliche Konsequenzen (z. B. Beibringung eines Medizinisch-Psychologischen Gutachtens (MPU)). Zudem kann der Versicherungsschutz der Haftpflichtversicherung entfallen, wenn ein Versicherungsnehmer zumindest grob fahrlässig einen Schaden verursacht.

Ganz besonders in der Eindosierungsphase, in der die optimale Dosis noch nicht gefunden ist und der Patient sich an das neue Arzneimittel noch nicht gewöhnt hat, aber auch bei gleichzeitiger Einnahme anderer die Fahrtauglichkeit beeinträchtigenden Arzneimitteln, ist besondere Vorsicht geboten.

3. Änderung der Rechtsprechung bei Genehmigungsfiktionen:

Mit § 31 Abs. 6 SGB V hat der Gesetzgeber eine gesetzliche Grundlage geschaffen, durch die Cannabinoide unter festgelegten besonderen Voraussetzungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig sind.

Die Leistung bedarf aber nach dem Wortlaut des Gesetzes bei der ersten Verordnung für einen GKV-Versicherten der - nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden - Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Versäumt die Krankenkasse es, über einen Antrag des Versicherten innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist zu entscheiden, tritt kraft Gesetzes die sog. „Genehmigungsfiktion“ ein:

Stellt ein Versicherter einen Antrag auf Kostenübernahme einer bestimmten Therapie, ist die Krankenkasse grundsätzlich – unabhängig von der Art der Therapie - verpflichtet, über diesen Antrag zügig, spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen (bei Einschaltung des MDK 5 Wochen) nach Eingang des Antrages zu entscheiden. Für den speziellen Fall der Verordnung eines Cannabinoids regelt § 31 Abs. 6 SGB V, dass die Frist sich auf 3 Tage verkürzt, soweit eine SAPV-Leistung oder eine Leistung im unmittelbaren Anschluss an eine stationäre Cannabinoidbehandlung beantragt wird. Teilt die Krankenkasse dem Patienten bis zum Fristablauf keine Entscheidung mit oder informiert ihn nicht zumindest über hinreichende Verzögerungsgründe, gilt die Leistung mit Fristablauf kraft Gesetzes als genehmigt. Durch diese Genehmigungsfiktion gilt der Antrag als genehmigt, obwohl die Krankenkasse überhaupt keine Entscheidung in der Sache getroffen hat.

„Leider“ wurde die Rolle der Genehmigungsfiktion im vergangenen Jahr aber durch die Rechtsprechung stark verändert:

Die frühere Rechtsprechung ging bis Ende Mai 2020 davon aus, dass bei Eintritt der gesetzlichen Genehmigungsfiktion eine Leistung als genehmigt gilt und nachträglich inhaltlich nicht mehr von der Krankenkasse angegriffen werden kann. So hatte der Eintritt der Genehmigungsfiktion zur Konsequenz, dass die Krankenkasse nachträglich keine Möglichkeit mehr hatte, geltend zu machen, dass die Genehmigungsvoraussetzungen tatsächlich doch nicht vorliegen würden.

Diese Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht zu Lasten der Patienten mit Urteil vom 26.05.2020 (Az.: B 1 KR 9/18 R) geändert und zu Gunsten der Krankenkassen die Wirkung der Genehmigungsfiktion stark eingeschränkt. Nunmehr löst eine Genehmigungsfiktion nur noch einen vorübergehenden Anspruch auf Kostenübernahme der beantragten Therapie durch die Krankenkasse aus.

Der Versicherte erhält durch die Genehmigungsfiktion nur noch einstweilen einen Leistungsanspruch. Dies hat zur Folge, dass die Krankenkasse jetzt auch nach Fristablauf noch eine inhaltliche Entscheidung treffen und die Genehmigung nachträglich beeinflussen kann. Wenn daher nachträglich eine Ablehnungsentscheidung erfolgt, hat der Versicherte ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch mehr auf die beschaffte Leistung bzw. auf Kostenerstattung. Die zunächst kraft Gesetzes eingetretene Genehmigungsfiktion erlischt.

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IK